Wie wird die Selective Data Transition technisch umgesetzt? Ein Blick hinter die Kulissen von S/4HANA

Während sich Kunden von SAP ECC auf den Wechsel nach S/4HANA vorbereiten, entscheiden sich immer mehr Unternehmen für Selective Data Transition (SDT) als flexible Alternative zu den Ansätzen Brownfield und Greenfield. Doch wie genau funktioniert SDT aus technischer Sicht? In einer Expert Session vom SAP Customer Evolution Program erläutern Referenten von SNP, SAP und Natuvion die technischen Mechanismen von SDT – von der Systemerstellung bis zur Optimierung der Ausfallzeit. Wir fassen zusammen, was Sie beachten müssen.

29.07.2025  |  7 min

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Die wichtigsten Erkenntnisse: 

  1. Die selektive Datenübertragung (Selective Data Transition, kurz SDT) ermöglicht einen flexiblen Wechsel nach S/4HANA, indem sie Elemente von Brownfield und Greenfield mit verschiedenen Optionen zur Systemerstellung kombiniert, wie die Shell-Konvertierung und Mix-and-Match.
  2. Der SDT-Ansatz ist sehr strukturiert. Er ermöglicht Dual Maintenance, eine tabellenbasierte oder hybride Datenmigration sowie eine gründliche Validierung zur Gewährleistung der Genauigkeit der Daten und der Systemintegrität.
  3. Near-Zero Downtime (NZD) und Tools für eine automatisierte Abstimmung erleichtern es großen Unternehmen, fixe Go-live-Termine mit minimalen Unterbrechungen einzuhalten.
  4. Mit einer durchdachten Konfiguration, den richtigen Tools und einer starken Governance unterstützt SDT eine risikoarme und skalierbare Transformation, die auf die individuellen Geschäftsanforderungen zugeschnitten ist. 

 

 

Die Grundlage: Vier Möglichkeiten der Systemerstellung 

 

Es gibt verschiedene Optionen für die Erstellung eines Systems, die jeweils einen unterschiedlichen Grad an Wiederverwendbarkeit, Flexibilität und Innovation aufweisen. Die vier Optionen sind wie folgt: 

  1. Shell-Konvertierung
    Dies ist der gängigste und empfohlene Ansatz, bei dem das bestehende ECC-System zunächst 1:1 kopiert wird. Dabei werden die Stamm- und Bewegungsdaten ausgeschlossen, während das Customizing und die Repository-Objekte vollständig bewahrt werden. Das schlanke Shell-System kann bereinigt und an das Datenmodell von S/4HANA angepasst werden. So können Kunden das System selektiv vereinfachen und die Best Practices von SAP einführen – ohne wieder bei Null anzufangen. Der Ansatz ist ideal für Unternehmen mit wertvollen Eigenentwicklungen, die diese beibehalten möchten ohne neue Innovationen zu behindern.
  2. Mix-and-Match
    Dieser Ansatz implementiert ein neues S/4HANA-System (keine Kopie von ECC), in das ausgewählte Konfigurationen und Prozesse importiert werden. Dabei gibt es zwei Varianten: Entweder wird das System komplett neu erstellt und bestehende Elemente werden nur minimal wiederverwendet, oder nur wichtige Teile des ECC-Systems werden selektiv über Transporte übernommen. Der Ansatz Mix-and-Match bietet mehr Flexibilität und eignet sich besser für Unternehmen, die ihre Prozesse stärker umgestalten wollen. Er ist eher an Greenfield angelegt, erfordert aber weniger Unterbrechungen.
  3. Neue Implementierung (Greenfield)
    Bei dem Greenfield-Ansatz wird das S/4HANA-Zielsystem komplett neu aufgebaut. Bestehende Konfigurationen oder veraltete Strukturen werden nicht verwendet. Der SDT-Ansatz kann danach immer noch eingesetzt werden, um relevante historische Daten selektiv zu migrieren. Die Systemeinrichtung selbst entspricht jedoch einem sauberen Neustart.
  4. Bestehendes System
    Dieser Ansatz ist bei wellenbasierten oder schrittweisen Rollouts üblich, bei denen bereits ein S/4HANA-Produktivsystem vorhanden ist. SDT wird dann verwendet, um Daten aus zusätzlichen ECC-Systemen oder Geschäftseinheiten schrittweise zu migrieren. Im Laufe des Projekts werden weitere Daten (z. B. zusätzliche Buchungskreise) in die bestehende Umgebung integriert, sodass im Laufe der Zeit eine Systemkonsolidierung unterstützt wird.

 

Synchronisation: Dual Maintenance und Retrofit 

Bei langen Migrationsprojekten ist es schwierig, die Quell- und Zielsysteme synchron zu halten. ECC-Systeme werden während der Umstellung weiterentwickelt, während Änderungen in der neuen S/4HANA-Umgebung berücksichtigt werden müssen. SAP begegnet diesem Problem mit einem Retrofit-Prozess, der über Solution Manager oder Cloud ALM verwaltet wird. Je nach Komplexität können Änderungen automatisch, mit Hilfe von Tools oder manuell synchronisiert werden. 

Das Einfrieren der Konfiguration kurz vor dem Go-live trägt zur Stabilisierung der Umgebung und zur Minimierung von Risiken bei. Ein effektiver Retrofit bleibt jedoch unerlässlich, insbesondere für Kunden mit umfangreichem Customizing. 

Das Herzstück: Die Migration und Validierung der Daten 

 

Die Datenmigration erfolgt mit dem SDT-Ansatz strukturiert, iterativ und toolbasiert. Sie umfasst die folgenden Schritte: 

  1. Datenaufbereitung zur Definition des Datenumfangs, der Selektionskriterien und der Mapping-Regeln
  2. Datenextraktion zum Abrufen der relevanten Daten aus dem ECC-Quellsystem
  3. Datentransformation zur Anpassung der Daten an das Datenmodell von S/4HANA
  4. Vor-Validierung zur Ermittlung von Problemen vor dem Load
  5. Systemvorbereitung zur Gewährleistung der technischen Readiness des Zielsystems
  6. Daten-Load zur Übertragung der Daten nach S/4HANA
  7. Validierung nach dem Load einschließlich detaillierter Vergleiche, Audits und funktionalen Prüfungen. 

Am häufigsten wird der tabellenbasierte Ansatz für SDT-Projekte verwendet, der flexible Migrationen mit hohem Durchsatz auf Datenbankebene ermöglicht. Dieser ermöglicht eine selektive Übertragung historischer Daten, unterstützt große Datenmengen und kann für unterschiedliche Business-Objekte angepasst werden. Für offene Posten und Salden kann auch der buchungsbasierte Ansatz verwendet werden, der über integrierte Validierungen verfügt, die die Integrität während der Umstellung gewährleisten. In komplexen Szenarien kommt häufig eine Kombination aus beiden Methoden zum Einsatz. 

Eine umfassende Validierung schafft Vertrauen 

 

Die Validierung geht bei SDT weit über die technische Korrektheit hinaus. Migrationspartner überprüfen zunächst die System- und Datenprotokolle und führen danach detaillierte Vergleiche zwischen dem Quell- und Zielsystem durch. Dazu gehören Prüfungen der Datenkonsistenz (z. B. Validierung von Fremdschlüsseln), automatisierte Batch-Tests wichtiger Prozesse und Validierungen auf Audit-Ebene, wie die Kontoabstimmung. 

Kunden führen in der Regel zusätzliche manuelle Stichproben durch und simulieren wichtige Transaktionen, um sicherzustellen, dass das System wie erwartet funktioniert. Diese Zusammenarbeit schafft Vertrauen in das Endergebnis und ermöglicht eine nahtlose Übergabe vor dem Go-live. 

 

Ausfallzeit und Performance: Gewährleistung der Geschäftskontinuität 

 

Für die meisten Kunden hat die Minimierung der Ausfallzeit oberste Priorität. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, was machbar ist: von der insgesamten Datenmenge über die Komplexität des Systems bis hin zur Performance der Infrastruktur. Bei SDT liegt der Fokus auf der Readiness der Hardware, einer ordnungsgemäßen Systemoptimierung und einer Orchestrierung des Cutover. Eine klare Organisationsstruktur und ein gut durchdachter Cutover-Plan sind genauso wichtig wie die technischen Komponenten. 

Wenn das Standardvorgehen für die Migration nicht schnell genug ist, kommt Near-Zero Downtime (NZD) zum Einsatz. Dieser Ansatz verwendet Datenbanktrigger, um Änderungen zur Systemlaufzeit nachzuverfolgen, sodass der Großteil der Migration durchgeführt werden kann, während das System in Betrieb ist. Nur die letzten Änderungen – erfasst in einem oder mehreren Delta-Loads – werden während eines kurzen Cutover migriert. Mit diesem Ansatz können Unternehmen selbst umfangreiche Migrationen innerhalb eines Wochenendes oder sogar noch schneller durchführen. 

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Meiner Erfahrung nach werden etwa 7 der 10 größten Projekte, die wir umsetzen, durch NZD-Anforderungen bestimmt. Diese Projekte haben oft sehr enge Zeitfenster – manchmal nur wenige Stunden oder ein einziges Wochenende. Mit zunehmender Größe der Systeme, die oft 40, 50 oder sogar 100 Terabyte übersteigen, steigt auch der Bedarf an NZD.

Dominik Wittenbeck

CTO der SNP-Gruppe

Tools für eine automatisierte Abstimmung sind auch für die Vereinfachung der Prüfungen nach der Migration wichtig. Statt Auditberichte manuell zu überprüfen und Daten systemübergreifend zu vergleichen (was oft mühsam, zeitaufwendig und fehleranfällig ist), automatisieren diese Tools einen Großteil des Aufwands. Sie vergleichen wichtige Artefakte, ermitteln Unstimmigkeiten und zeigen, ob die Unterschiede erklärbar sind. Das spart Zeit und verringert das Risiko menschlicher Fehler. Diese beiden Faktoren – der NZDT-Ansatz und die Tools für eine automatisierte Abstimmung – sind entscheidende Faktoren, die Kunden dabei unterstützen, ihre Anforderungen hinsichtlich der Ausfallzeit zu erfüllen. 

Risikoarme Transformation für individuelle Geschäftsanforderungen 

Die selektive Datenübertragung bietet Unternehmen, die eine Modernisierung anstreben, einen pragmatischen und skalierbaren Weg nach S/4HANA – ohne geschäftskritische Daten und Eigenentwicklungen aufzugeben. Ob über ein Shell-System, eine Mix-and-Match-Konfiguration oder eine wellenbasierte Integration in eine bestehende Landschaft: SDT bietet Ihnen die Flexibilität, die zu Ihrer Strategie passt. 

Mit der richtigen Kombination aus Tools, Governance und Vorbereitung sowie einer soliden Validierung und sorgfältigen Planung der Ausfallzeit, ermöglicht SDT eine technisch stabile und risikoarme Transformation, die den individuellen Anforderungen Ihres Unternehmens entspricht. 

Weitere Informationen finden Sie im Webinar von SAP zu Selective Data Transition. 

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